Ist die Praxis der Kindertaufe nicht biblisch und zu verwerfen?

1) Immer wieder hört man seitens mancher protestantischer Gruppen, die katholische Praxis der Kindertaufe sei nicht biblisch belegt und somit nicht biblischen Ursprungs - sie sei von der Kirche zu späteren Zeiten und somit gegen den ursprünglichen Willen Jesu eingeführt worden. Als wichtigstes theologisches Argument dieser Gruppen wird gern der Einwand gebracht, als Kind könne man ja keinen bewussten Akt des Glaubens und somit der willentlichen Zustimmung zur Taufe setzen, welche ja beide notwendig seien. Solche Thesen übernehmen dann bisweilen auch so manche der modernen Katholiken, die sich in der Sachmaterie nicht gut auskennen, und werfen auch ihrerseits der katholischen Kirche vorwurfsvoll Betrug vor - deren liebste Beschäftigung! Wie verhält es sich denn in dieser Frage tatsächlich?
2) Nun, zunächst einmal ist es sehr bemerkenswert, dass in den ersten zwei Jahrhunderten eine jegliche kontroverse Diskussion über die Frage nach der Zulässigkeit der Kindertaufe fehlt. Wären damals in der Kirche überhaupt keine Fälle von Kindertaufen vorgekommen bzw. hätte die Kirche sich kategorisch gegen die Möglichkeit und Zulässigkeit der Taufen an unmündigen Kindern ausgesprochen, hätte es doch zweifelsohne irgendwelche Zeugnisse für eine solche kontroverse theologische Auseinandersetzung gegeben. Nun fehlen aber nicht nur solche historischen Belege in den ersten zwei christlichen Jahrhunderten komplett, sondern es sind auch nicht einmal irgendwelche Spuren einer sich zugunsten der Kindertaufe aussprechenden Diskussion anzutreffen! Das bedeutet nur, dass man die tatsächlich vorhandene Praxis der Kindertaufe für überhaupt nicht irgendwie anstößig hielt, sondern sie wie etwas Selbstverständliches praktizierte!
Zu dem falschen Eindruck, in der Urkirche seien nur Erwachsene getauft worden, mag auch der Umstand beigetragen haben, dass es sowohl in der apostolischen Zeit als auch im ersten christlichen Zeitalter ja noch keine christliche Gesellschaft mit verhältnismäßig vielen komplett christlichen Familien gegeben hat. Die überwiegende Zahl derer, die damals getauft wurden, waren somit logischerweise Erwachsene, Konvertiten aus dem Heidentum.
Dafür dass auch schon damals unmündige Kinder das Sakrament der Taufe empfingen, und zwar wie selbstverständlich, gibt es sehr wohl eindeutige Zeugnisse in den Schriften des Neuen Testaments. Denn wenn der hl. Apostel Paulus in 1 Kor 1,16 ausführt, er habe “auch die Familie des Stephanus getauft” und dabei mit keinem Deut darauf hinweist, man dürfe keine unmündigen Kinder taufen, dann legt diese Stelle nahe, dass da wie selbstverständlich auch die betreffenden (und statistisch zahlreicher als heute) anwesenden Kinder dieser Familie mitgetauft worden sind.
Und in der Apostelgeschichte lesen wir davon, wie Paulus in Philippi auch eine gewisse “Frau namens Lydia, eine Purpurhändlerin aus der Stadt Thyatra, eine Gottesfürchtige,” trifft. Sie kam zum Glauben an Jesus. Daraufhin heißt es: “Sie ließ sich samt ihrem Haus taufen” (Apg 16,14f)! Die Formulierung “samt ihrem Haus” insinuiert ja geradezu die Anwesenheit von Kindern. Und hätte man dabei nicht erwachsene Kinder als nicht tauffähig angesehen, hätte man es unbedingt erwähnt. Paulus war vom Fach her ein ausgebildeter Theologe und hat somit gewusst, richtig, präzise und unmissverständlich zu formulieren.
Als dann Paulus und Silas eingekerkert waren und sämtliche Türen ihres Kerkers auf wundersame Weise aufgegangen sind, wollte sich der zuständige und in der Zwischenzeit eingeschlafene Kerkermeister mit dem Schwert das Leben nehmen, weil er dachte, die Gefangenen seien entflohen. Paulus, der noch da war, gebot ihm, dies nicht zu tun, und unterwies ihn auf dessen eigene Bitte hin im Glauben. “Und sie verkündeten ihm und allen seinen Hausgenossen das Wort des Herrn. Noch in derselben Nacht nahm er sie zu sich, wusch ihnen die Striemen ab und ließ sich sogleich mit all den Seinigen taufen” (Apg 16,32f). Es wäre extrem seltsam bzw. realitätsfremd und spitzfindig anzunehmen, in allen diesen drei Familien und Häusern hätte es zufälligerweise kein einziges unmündiges Kind gegeben! Das sind klare Beweise dafür, dass die Kindertaufe sehr wohl biblischen Ursprungs ist.
3) Die Urkirche sah aus einem ganz einfachen aber zentralen theologischen Grund überhaupt kein Problem, die Kindertaufe als legitim anzusehen bzw. selbst völlig unverkrampft zu praktizieren. Im Zentrum des jüdischen Glaubensverständnisses stand ja der Bundesschluss Israels mit Gott. Und als Zeichen dieses Bundesschlusses wurden alle männlichen Israeliten beschnitten - und zwar im zartesten Alter, als unmündige Kinder! Und im Neuen Testament wird die Taufe ausdrücklich in Verbindung mit dieser alttestamentarischen Beschneidung des Körpers gesetzt bzw. mit ihr geistig verglichen. So führt Paulus in Bezug auf Jesus aus: “Er ist ja das Haupt jeder Herrschaft und Macht. In Ihm habt ihr auch die Beschneidung empfangen, die nicht von der Hand vorgenommen ist, die vielmehr im Ablegen des fleischlichen Leibes besteht, ich meine die Beschneidung in Christus.” (Kol 2,10f.)
Und wie bereits im Alten Bund auch die Unmündigen “an der konsekratorischen Heiligkeit des Bundes” mit Gott teilnahmen, “bei dessen Stiftung Gottes gnädige Wahl allem menschlichen Tun vorangeht”1, so ähnlich hat man es auch in der jungen Kirche in Bezug auf die Taufe gesehen, dass am Anfang des Weges mit Gott nämlich immer die freie Gnadenwahl Jesu Christi steht! So bezeugt Paulus: “Aber durch die Gnade Gottes bin ich, was ich nun bin” (1 Kor 15,10); er bestätigt, dass man nur durch die Gnade Christi “gerettet” werde (vgl. Eph 2,5), und legt “Zeugnis” ab “für die frohe Botschaft von der Gnade Gottes” (Apg 20,24).
Natürlich kann sich die Gnade Gottes nicht gegen den freien Willen des Menschen wirksam erweisen und segensreich zur Entfaltung kommen. Das behauptet ja auch niemand. Nur können unmündige Kinder wohl kaum einen solchen Gegenwillen erwecken, welcher der Wirkung der göttlichen Gnade im Wege stehen würde! So erblickt man seitens der Kirche im Falle der Taufe eines Kindes zuerst und zuvörderst die gnädige Wahl der Vorsehung Gottes und freut sich ganz einfach und aufrichtig wegen der Tatsache, dass eine neue Seele mit der heiligmachenden Gnade der Erlösung beschenkt werde! Heißt es ja im Johannesevangelium im Hinblick auf die Taufe: “Wundere dich nicht, wenn Ich dir sage: Ihr müsst wiedergeboren werden. Der Wind weht, wo er will; du hörst sein Brausen, weist aber nicht, woher er kommt und wohin er geht. So ist es bei jedem, der aus dem Geist geboren ist.’” (Joh 3,7f.)
4) Praktisch erst der Protestantismus hat im Westen die apostolische kirchliche Praxis der Kindertaufe als fragwürdig hingestellt bzw. sie teilweise kategorisch abgelehnt. Aber dies hängt zentral mit den Grundirrtümern Luthers und anderer so genannter “Reformatoren” in Bezug auf die Kirche, die Gnade und letztendlich auch die Sakramente zusammen. Wenn die Erlösung nach Luther letztendlich hauptsächlich im autosuggestiven “Glauben” bestehe, man sei halt erlöst und in der Gnade Gottes (man müsse sich das halt immer und immer wieder selbst einreden!), dann bekommt hier das eigene Tun des Menschen ein solches gewaltiges Übergewicht, welches ein jegliches Wirken der Gnade Gottes als sinnlos erscheinen lässt. Und wenn das Tun des Menschen im Mittelpunkt der Erlösung stehe bzw. deren hauptsächlichstes Element bilde, dann bleibt daneben für nichts anderes mehr Platz übrig. So ist es dann nur folgerichtig, dass man dann auch der Praxis der Kindertaufe eine jegliche Rechtmäßigkeit abspricht, weil da ja überhaupt nicht das eigene Tun des Menschen im Zentrum steht.
Ja, die heutigen Lutheraner in Zentraleuropa kennen zwar die Praxis der Kindertaufe, wenden aber dabei im Unterschied zu den Baptisten und den protestantischen so genannten Freikirchlern nicht konsequent die Prinzipien Luthers an. Aber das ist ja letztendlich nicht unser Problem.
Der zweite Grundirrtum des Protestantismus in diesem Zusammenhang besteht darin, dass er den Sakramenten keine Wirkursächlichkeit zuerkennt (weil da ja wiederum nicht das Tun des Menschen im Mittelpunkt steht - nach Luther ist Jesus in der Hostie nur insofern wie auch immer “anwesend”, wie der betreffende Mensch glaubt, dass Er da “anwesend” sei.) Folgt man dieser häretischen Voraussetzung, muss halt in der Folge dem eigenen Mittun des Täuflings eine solche Funktion zugeordnet werden, die ein unmündiges Kind beim besten Willen nicht ausüben kann. Diese ganze Frage ist ein schönes Anschauungsbeispiel, wie falsche Glaubenprinzipien auch im Glaubensleben praktisch notwendigerweise Praktiken hervorrufen, die im Widerspruch zur apostolischen Tradition stehen!
5) Was aber die katholische Kirche bewegt, unbedingt an der Praxis der Kindertaufe festzuhalten, ist der von Jesus Christus sowohl eindeutig als auch unmissverständlich gelehrte Grundsatz von der Heilsnotwendigkeit der christlichen Taufe! Beim Gespräch mit dem “jüdischen Ratsherrn namens Nikodemus” führt Jesus nämlich aus: “‘Wahrlich, wahrlich, Ich sage dir: Wenn jemand nicht wiedergeboren wird, so kann er das Reich Gottes nicht schauen.’ Nikodemus fragte Ihn: ‘Wie kann ein Mensch geboren werden, wenn er schon alt ist? Kann er etwa ein zweites Mal in den Schoß seiner Mutter eingehen und wiedergeboren werden?’ Jesus antwortete: ‘Wahrlich, wahrlich, Ich sage dir: Wenn jemand nicht wiedergeboren wird aus Wasser und Heiligem Geist, so kann er in das Reich Gottes nicht eingehen. Was aus dem Fleisch geboren ist, ist Fleisch; was aber aus dem Geist geboren ist, ist Geist.’” (Joh 3,3-6) Und da diese eindringlichen Worte Jesu keine Ausnahme zulassen, so beruft man sich in der katholischen Kirche in West und Ost auf sie als ein weiteres entscheidendes theologisches Argument bzw. ein Schriftbeleg zugunsten der Kindertaufe!
Die kirchliche theologische Tradition kennt auch die so genannte Anakephalaiosis-Lehre des hl. Bischofs und Martyrers Irenäus (+202). Danach durchlebt Christus als menschgewordenes Wort (die Offenbarung) das Vaters in einer bestimmten Hinsicht alles Menschliche und heiligt es schlussendlich. Somit habe Er auch das Kindsein als solches geheiligt, welche Erkenntnis dann die Kindertaufe zusätzlich theologisch legitimiert. “Die auf die Schrift gestützte, von Eirenaios (Irenäus - Anm.) ausgearbeitete Lehre befindet sich in verschiedenen Schattierungen auch bei anderen Kirchenvätern, insbesondere bei Methodios von Olympos, Athanasios (Athanasius - Anm.), sowie Tertullian, Hilarius und Augustinus.” 2
“Die Rechtfertigung schlechthin für die Kindertaufe liefert die Erbsündenlehre, sobald sie geklärter theologischer Besitz geworden war.”3 Man beachte dabei, dass die Kirche nicht erst seit Don Scotus und dem Mittelalter die Praxis der Kindertaufe kennt - diese war, wie oben dargelegt, schon beim Apostel Paulus, also zur Zeit der Apostel, ganz normale Praxis. Don Scotus kommt “nur” das große Verdienst zu, diese Erbsündenlehre in verständliche theologische Begriffe gefasst zu haben. Und seitdem fällt es eben leichter, die Kindertaufe theologisch zu begründen. Die so genannte Sache selbst war ja der Kirche bereits von Anfang an sowohl bekannt als auch klar!
6) Wie löst aber die Kirche die an sich wichtige Frage, dass ja nach der hl. Schrift unbedingt der Glaube vor der Taufe gefordert werde? Bei Erwachsenen ist dies klar - ein Katechumene muss ja zuerst den Glauben kennen lernen und bejahen, bevor er überhaupt getauft werden dürfe. Aber wie sieht dies bei unmündigen Kindern aus?
In Mt 9,2-8 wird berichtet, wie Jesus einen Gelähmten geheilt hatte, wobei er ihm zuerst seine Sünden vergab: “Da brachte man einen Gelähmten zu Ihm, der auf einem Bett lag. Als Jesus ihren Glauben sah, sagte er zu dem Gelähmten: ‘Sei getrost, mein Sohn, deine Sünden sind dir vergeben.’” (9,2) Es heißt hier bezeichnenderweise: “Als Jesus ihren Glauben sah”, und nicht “seinen”, den des Gelähmten selbst nämlich! In Analogie zu dieser Sündenvergebung und darauffolgenden Heilung des körperlichen Übels dieses Mannes aufgrund des fremden Glaubens seiner Freunde und nächsten Angehörigen lässt die Kirche auch im Falle einer Kindertaufe den so genannten fremden Glauben der Eltern, Taufpaten und zutiefst und unverlierbar der Kirche selbst als stellvertretend für das Kind gelten.
Hier greift auch noch eine andere wichtige Überlegung: Im Wissen um die entscheidende Bedeutung und den Stellenwert der Taufe für das ewige Seelenheil eines Menschen will man nicht riskieren, dass ein Kind eventuell stirbt, bevor es religionsmündig (mit 14 Jahren) bzw. volljährig wird. Wer wird sich dann dafür die Verantwortung geben bzw. selbst darunter seelisch leiden? (Zumal in antiker Zeit die Kindersterblichkeit wesentlich höher war als in der Gegenwart in wirtschaftlich und sozial weiter entwickelten Staaten. Ja noch in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts lag sie auch in Mitteleuropa noch viel höher als in der Gegenwart.)
7) Schlussendlich zieht man sich die Erbsünde ebenfalls nicht aufgrund eines eigenen moralischen Vergehens zu, sondern gewissermaßen solidarisch, als Teil der großen Menschheitsfamilie. Zunächst führt Paulus zu diesem Thema aus, dass “durch einen Menschen die Sünde in die Welt gekommen ist und durch die Sünde der Tod und so der Tod auf alle Menschen übergegangen ist, weil wir alle gesündigt haben” (Röm 5,12). Dann setzt er fort: “Denn wenn durch die Übertretung des einen und eben durch den einen der Tod die Herrschaft erlangt hat, so wird um so viel mehr in denen das Leben herrschen, die durch den einen Jesus Christus die reiche Gnadengabe der Gerechtigkeit erlangt haben. So ist also durch die Übertretung eines einzigen Menschen über alle die Verurteilung gekommen. Aber durch den einen, der gerecht war, kommt auch die Rechtfertigung und das Leben für alle Menschen. Denn wie durch den Ungehorsam des einen Menschen die vielen zu Sündern geworden sind, so werden durch den Gehorsam des einen die vielen zu Gerechten gemacht.” (Röm 5,17-20)
Selbstverständlich will der hl. Apostel damit nicht sagen, als würde die Erlösungsgnade Jesu automatisch auf alle Menschen übergehen, etwa gegen ihre eigene Zustimmung, etwa im Sinne der häretischen und jegliche Gerechtigkeit aufhebenden Allerlösungslehre. Nein, der Sinn dieser Ausführungen besteht darin, dass es letztendlich ebenfalls nicht unser Verdienst ist, dass Jesus das Werk der Erlösung gewirkt hatte (wie wir auch der Erbsünde ohne ein jegliches persönliches Dazutun teilhaftig geworden sind) - wir haben die Erlösung Seiner Gnade bzw. der göttlichen Barmherzigkeit als der eigentlichen Wirkursache zu verdanken! Und die Kirche schlussfolgert daraus - wegen der betreffenden Analoge, wie man sich nämlich auf der einen Seite die Erbsünde zuzieht und auf der anderen Seite davon wieder befreit bzw. der Gnade der Erlösung teilhaftig wird -, dass dann auch bei der Taufe eines unmündigen Kindes nicht das eigene Tun des betreffenden Menschen im Vordergrund stehen und alles andere überdecken kann und darf. Nein, im Mittelpunkt steht da zuallererst das Wirken der Gnade Christi - auch und besonders wenn ein Kind keine eigene menschliche Leistung dazu beitragen kann!

P. Eugen Rissling

1 LThK, Herder 1961. 6. Band, Sp. 159
2 LThK, Herder 1957. 1. Band, Sp. 467
3 LThK, Herder 1961. 6. Band, Sp.159

 

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